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Warum darf die Sau ins Dorf?

 

In schöner Regelmäßigkeit werden neue Managementmethoden gehypt. Und in derselben Regelmäßigkeit drehen viele Führungskräfte, Unternehmer, Mitarbeiter umgehend die Augen auf Weiß und seufzen, dass das nun wohl die nächste Sau sei, die durchs Dorf getrieben wird. Zu denen gehöre auch ich so manches Mal – ich gebe es zu.

Das Spannende aber ist, dass sich die Sau dennoch auf der Dorfstraße breit machen darf. Warum eigentlich?

 

Komplex -> VUCA -> Agil

Solche Managementmethoden werden immer mit einem Subtext ausgeliefert. Nicht dass es eine echte Werbekampagne gibt, aber die Botschaft mendelt sich überall in die Kommunikation hinein: Dies sei nun DIE Lösung für das Problem XY, das sich bei den Unternehmen in den letzten Jahren verdichtet hat und nun endlich benannt werden kann.

So geschehen bei dem Problem „Hilfe, die Welt wird so komplex“. Flugs etablieren sich Bezeichnungen wie VUCA und Co. Und ähnlich flugs wurde das Heilmittel „Agilität“ schlagwortartig präsentiert.

Auch bei der Agilitätsmethoden war es so, dass es schnell kritische Kommentare gab, die sagten: „Das hatten wir doch alles schon so ähnlich bei Lean Management.“

Gleichzeitig findet jede dieser neuen Methoden auch schnell eine treue Anhängerschaft.

 

Die Fan-Gemeinde

Darunter sind nicht nur Berater, die sagen: „Klasse, das ist ein super neues Geschäftsmodell. Wenn ich das schön bunt auflade, kann ich das wunderbar skalieren.“ Nein, es finden sich noch jede Menge anderer Menschen, die sehr überzeugt davon sind und die Methode mit fast missionarischem Eifer in die Unternehmen tragen wollen.

Diese Befürworter finden interessanterweise mehr Gehör als die Skeptiker, selbst im Mittelstand. Ich habe vier nachvollziehbare Gründe dafür ausgemacht.

 

Entlastend und im Trend

Zum einen sind die meisten Entscheider im Mittelstand zwar gut ausgebildet, nicht auf den Kopf gefallen und erfahren. Doch bei der Vorstellung, eine komplizierte Umgestaltungsaufgabe anzugehen, haben die wenigsten pures Lustempfinden oder persönliche Freude. Das verstehe ich sehr gut, zumal jeder weiß, dass Veränderungen immer Unruhe und zusätzlichen Aufwand verursachen.

Der Wunsch nach Entlastung ist deshalb groß. Und immer wenn dieser Wunsch groß ist, wird der Drang, die Sache skeptisch zu betrachten, kleiner.

Dazu kommt, dass solche Methoden dann jeweils voll im Trend liegen. Es ist gar nicht so leicht, sich frei zu machen von stichelnden Bemerkungen in der Art von „Wie, du hast noch nichts davon mitbekommen?“. Es gehört in Managementkreisen schon fast zum guten Ton, die neuesten Methoden zu goutieren.

Der dritte Grund ist vielleicht der, der am stärksten unterbewusst wirkt.

 

Kritikumlenkend und bequem

Wann immer Sie eine Veränderung verkünden, stehen Sie als Unternehmensverantwortlicher gerne dafür im Kreuzfeuer. Doch es macht einen Unterschied, wenn Sie diese Veränderung mit einer Methode begründen können, die gerade in aller Munde ist. Die Kritik daran wird nie persönlich im Sinne von „Was hast du dir denn da wieder Neues ausgedacht?“, sondern bleibt auf einem anderen Level.

Sie haben auch die Chance, die Veränderung ein bisschen schillernd aufzuladen und auf die Werbeblöcke in den Fachmagazinen zu verweisen. Frech gesagt, läuft der Teleprompter schon mit dem, was Sie als attraktiven Subtext mitliefern können. Auch das hilft Ihnen, Kritik von sich als Person fernzuhalten.

Tatsächlich ist es auch sehr praktisch, dass sich um solche neuen Methoden schnell Gesamtpakete entwickeln: Sie können schauen, wie andere Unternehmen die Methode bei sich umgesetzt haben; Sie finden sehr bald Anbieter, die Ihnen die maßgeschneiderten Qualifikationsangebote für Ihre Mitarbeiter machen; die externen Wissensressourcen in Form von Beratern stehen bereit.

Das heißt, die Gesamtheit der Umgebung ist bereits entsprechend aufgerockt für diesen Bedarf. Sie müssen nur noch zugreifen.

Doch trotz aller Verführung bleibt das Grundproblem ungelöst.

 

Die große Illusion

Hinter dem Glauben an das Heilsversprechen einer Managementmethode steht der Glaube, dass es tatsächlich EINE Lösung für das ganze Unternehmen geben kann. Doch das ist eine Illusion.

Wenn Sie eine Firma ansehen, dann besteht diese aus vielen Leuten, die mit den unterschiedlichsten Ansprüchen umgehen: mit den Kunden, den Märkten, den Lieferanten, den Mitarbeitern etc.

Es ist ein kluger Schachzug, dafür jeweils unterschiedliche Abteilungen einzurichten, um diesen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Das allein ist schon kompliziert genug.

Wenn Sie jetzt aber versuchen, in diesem Potpourri von Ansprüchen zu ermitteln „Was haltet ihr für richtig oder was haltet ihr für wichtig?“, werden die Antworten aus dem Vertrieb naturgemäß immer anders ausfallen als die aus der Produktion. Sie können nichts daran ändern, dass die Welt in der Buchhaltung anders tickt als die in der Entwicklung.

Da ist die Suche nach dem „richtigen“ Weg für die gesamte Organisation von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Mit dieser Fragestellung kommen Sie auf keinen grünen Zweig.

 

Die Widersprüchlichkeits-Regel

Sie fahren besser, wenn Sie die Widersprüchlichkeit in Ihrer Organisation akzeptieren. Sie ist nicht die Ausnahmesituation, sondern die Regel und deshalb normal.

Diese Haltung erspart Ihnen die Streitereien um „die richtige“ Lösung. Natürlich müssen Sie trotzdem noch Lösungen für Probleme finden und Entscheidungen treffen. Aber Sie entlasten sich von dem Druck, die perfekte Lösung für alles einführen zu müssen. Sie sind frei, sich das jeweils Passende herauszupicken.

Ich denke, unter dieser Voraussetzung lässt sich mit der nächsten Sau ein bisschen aufgeräumter und weniger euphorisch umgehen. Sie können sie beleuchten und überlegen: Wie können wir erst mal damit arbeiten? Oder: Welche unserer 98 Probleme können wir sinnvoll damit bearbeiten und welche nicht? Und wie bringen wir am besten den Rest unter?

Die gleiche Frage kann dann eben unterschiedlich beantwortet werden.

 

Flexibel oder effizient?

Viele Unternehmen haben zum Beispiel das Thema „Wir müssen flexibler werden“. Ein populärer Impuls der letzten Jahre war: „Wir arbeiten jetzt nach Scrum“. Doch dann fällt auf, dass zum Beispiel der Jahresabschluss gar nicht agil vorbereitet werden muss. Der Prozess ist nämlich erstens sehr standardisiert, zweitens ist die Anforderung des „Kunden“ Finanzamt ziemlich klar und drittes ist es auch ganz gut, wenn die Mitarbeiter ziemlich früh ziemlich viel Zeit in Fehlervermeidung investieren – statt agilerweise Fehler suchen und entsprechend weiterentwickeln.

In solchen Bereichen und bei diesen Aufgabenstellungen ist es viel sinnvoller zu schauen, wie der Prozess effizienter laufen könnte: mit weniger Zeitaufwand, mit weniger Fehlern.

Der Schluss daraus ist ja: Das Unternehmen muss nach Möglichkeiten suchen, flexibler zu werden und trotzdem effizient zu arbeiten. Die Frage ist nicht „Entweder-oder“, sondern „Was ist unser Problem? Und welche Lösung passt darauf?“

Okay, das ist erstmal viel aufwändiger und unbequemer, als sich die eine Sau beziehungsweise die eine Lösung für alles ins Haus holen zu wollen. Aber es funktioniert einfach besser.

 

Mit Skepsis und Grips

Am Ende möchte ich noch eine Lanze brechen für mittelständische oder Familienunternehmen. Sie gehören anteilig deutlich häufiger zu denen, die der Sau mit Skepsis begegnen und kritisch hinschauen. Das ist gut so, auch wenn es meist auch mit einer gewissen Behäbigkeit verbunden ist.

Schwierig wird es, wenn die Behäbigkeit in eine grundsätzliche Abwehr mündet. Denn in (fast) jeder Sau stecken auch für mittelständische Unternehmen gute Lösungsideen. Stecken Sie deshalb ruhig ein bisschen Grips in die Beurteilung der jeweiligen Sau anstatt sich nur darüber zu wundern, wer die denn schon wieder ins Dorf gelassen hat.