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2023_Q2_Langtext_02_quadrat

Finde den Fehler

„Wir brauchen eine andere Fehlerkultur!“ Ich kenne inzwischen kein Unternehmen mehr, in dem nicht alle Beteiligten dies  so oder sehr ähnlich proklamieren. Durch die Bank findet man diesen oder ähnliche Appelle dann auch in diversen Leitbildern.

Doch inzwischen klingen die schönen Sätze in den Leitbildern seltsam hilflos. Denn es ändert sich proportional wenig im Vergleich zur vorgetragenen Dringlichkeit.

Deshalb habe ich genauer hingesehen: Welche Hebel werden da eigentlich betätigt? Warum funktionieren die offensichtlich nicht? Und an welcher Stelle könnten Sie in Ihrem Unternehmen einen geeigneten Hebel ansetzen?

 

Ja, wir brauchen das!

Die Fehlerkultur ist aus gutem Grund in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Alle Unternehmen haben erfahren, dass die Welt sich immer schneller ändert, sie sich anpassen müssen. Mehr anpassen bedeutet viele und umfänglichere Veränderungen.

Da es aber bei Veränderungen selten glatt läuft, passieren eben auch mehr Fehler. Und wer die nicht frühzeitig erkennt und richtig mit ihnen umgeht, verliert Ressourcen, Beweglichkeit und im Zweifelsfall auch Mitarbeiter. So ein verschleppter Fehler kann richtig teuer werden.

Nun können Sie sagen: „Mensch, Unternehmen sind doch schon immer irgendwie mit Fehlern umgegangen – warum jetzt einen solchen Hype daraus machen?“

Richtig: Jedes Unternehmen hat über die Jahre eine Fehlerkultur entwickelt und tradiert (deshalb kräuselt sich meine Stirn immer, wenn ich von Unternehmensverantwortlichen höre: „Wir brauchen endlich eine Fehlerkultur!“). Doch in diesen Jahren dürfen die Unternehmen in der Regel auf Routine, Stabilität und gut laufende Prozesse setzen. Das heißt, die Beteiligten haben für alles mehr Zeit: mehr Zeit für die Vorbereitung, mehr Zeit in der Entwicklung, mehr Zeit in der Umsetzung, mehr Zeit, einen Fehler auszubügeln.

Diese Zeit haben sie nicht mehr. Und die Übersicht haben wir nicht mehr. Deshalb hat sich zurecht die Erkenntnis durchgesetzt, die dann richtig heißt: Wir brauchen eine neue Fehlerkultur.

 

Oh, wir freuen uns!

Wie immer bei drängenden Kulturthemen ist die Verführung groß, sich die „Ziel-Kultur“ in ein Leitbild zu schreiben, in der Hoffnung, dass die Veränderung dann von selbst stattfindet: Schließlich können hier alle lesen!

Ich will nicht ironisch werden, aber es ist schon verrückt, wie gleichlautend Leitbilder in Sachen Führungskultur und dem erstrebenswerten Umgang mit Fehlern sind. Da steht zum Beispiel „Man darf hier jeden Fehler machen, aber bitte nur einmal“. Es folgt ein hartes Appellieren an einen offeneren Umgang und kollektives Bekennen zu mehr Transparenz. Auch gerne genommen: „Wir müssen aus Fehlern lernen!“

Bei manchen Unternehmen soll man sich sogar über „Fehler freuen“. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich freue mich nie über Fehler – nicht mal über Missgeschicke. Und ich freue mich auch nicht, wenn andere Leute Fehler machen. Fehler sind nun mal nichts Schönes.

Ach ja, und zum Schluss wird bekräftigt, dass eine andere Haltung her muss, vor allem bei den Führungskräften.

Der Effekt dieser Niederschriften liegt aus meiner Sicht bei Null. Wie sonst ließe sich das Stöhnen erklären, das sich zu einem Dauerseufzer in den Unternehmen entwickelt hat: „Wir müssten wirklich mal eine bessere Fehlerkultur etablieren.“

Es bewegt sich einfach nichts oder nicht genug. Und ich glaube nicht, dass das am mangelnden Willen der Beteiligten liegt. Aber woran dann?

 

Hmm, wer kümmert sich um den Fehler?

Die Basis für eine bessere Fehlerkultur im Sinne von „Fehler früher finden und daraus lernen“ ist in vielen Unternehmen meiner Ansicht nach bereits angekommen. Selbst Organisationen, die nicht komplett „durchagilisiert“ sind, erfassen wie das geht: in kürzeren Abschnitten arbeiten, für Transparenz sorgen, Feedback-Schleifen und Retrospektiven nutzen. Diese Prinzipien halten in viele Prozesse Einzug und die Erfahrung ist gut. Haken tut es an einer anderen Frage – und an der setzt der Hebel an, den ich Ihnen vorschlagen möchte: Wer kümmert sich um die Fehler?

Um diesen Ansatz nachvollziehen zu können, lassen Sie mich einen kurzen Schlenker zum Thema Verantwortung im Unternehmen machen. Tatsächlich muss ja irgendjemand den Kopf hinhalten für einen Fehler und dessen Folgen. Das ist in den meisten Firmen letztendlich immer noch der oder die, die die verschiedenen Leistungen in einem Bereich zu einem Ergebnis zusammenführt – also die Führungskraft.

Die ist verantwortlich für das, was geleistet oder eben auch nicht geleistet wird, für das gemeinsame Ergebnis aus vielen Teilen. Und deshalb hat diese Führungskraft natürlich kein Interesse an Fehlern, also mehr ein Interesse an Kontrolle.

Das ist das eine.

 

Vertikal vs. horizontal

Das andere (und das wird zur Zeit meist geflissentlich übersehen): Keiner macht gerne Fehler. Einen eigenen Fehler zu bemerken, ist immer unangenehm. Noch unangenehmer ist es, auch noch dem Chef davon erzählen zu müssen. Und aufwändiger ist es auch. Ich finde es nachvollziehbar, dass da niemand Lust oder gar Freude daran hat.

Die zentrale Frage der Fehlerkultur heißt ja: „Wie verfahren wir mit Fehlern?“ Haben Sie die beiden genannten Aspekte bei Ihrer Antwort im Blick, scheint es mir logisch zu sagen: Wenn ein Fehler dort behoben werden darf und auch nur dort besprochen werden muss, wo er passiert ist, klappt das mit der neuen Fehlerkultur wahrscheinlich deutlich besser.

Das heißt, der Umgang mit Fehlern sollte in erster Linie ein horizontales Thema sein.

Das Prinzip ist in den Unternehmen nicht neu: Die Verantwortung für Entscheidungen in die Peripherie zu geben, funktioniert in vielen Firmen ja schon ganz gut. Nur wenn es um Fehler geht, kommt auf einmal doch wieder die Führungskraft ins Spiel.

Wenn Sie Ihre Fehlerkultur horizontal aufzäumen, hat das eine Reihe von Vorteilen.

 

Zuverlässiger, besser, motivierter

Sie bekommen sicher sowohl eine zuverlässigere Fehlersuche als auch die besseren Lösungen und mehr Interesse an der Fehlerbehebung bei Mitarbeitern, die sich in der Verantwortung sehen dürfen. Denn allein die Vorstellung, den eigenen Fehler reporten zu müssen – womöglich in einem Auditorium, in dem auch noch andere, vielleicht sogar wenig wohlmeinende Kollegen dabei sind –, lässt bei vielen die Lust sinken, genau hinzusehen und einen Fehler darzustellen.

Klar, gibt es hochsensible Bereiche wie zum Beispiel die Impfstoffproduktion, bei denen ich auch froh bin, wenn möglichst viele Augen auf einen Fehler schauen. Aber wenn zum Beispiel ein Team in der HR-Abteilung einen neuen Recruiting-Weg ausprobiert und nur unbrauchbare Bewerbungen kommen: Sollten die wirklich der Führungskraft ihren „Fehler“ reporten müssen, damit die sich darum kümmert? Oder sollte das Team sich um einen anderen Weg bemühen, sobald der Fehlschlag sich abzeichnet?

Die Frage, die Sie sich im Unternehmen dazu stellen können, ist: Wer muss mit wem über welchen Fehler sprechen? Und wer ist dafür verantwortlich, diesen zu korrigieren?

Damit werden Sie auch den unterschiedlichen Anforderungen in den verschiedenen Abteilungen Ihres Unternehmens gerecht – und nehmen damit organisationalen Prokrastinierern den Wind aus den Segeln, die mit dem Verweis auf diese Verschiedenheiten so gerne vom Thema ablenken.

 

Fehler gefunden, Fehler behoben

Meine These ist: Wenn Ihre Führungskräfte an dieser Stelle Kontrolle abgeben, sich also nicht mehr für Fehler interessieren, wird eine gute Fehlerkultur in der Praxis wahrscheinlicher und zwar genau in dem Sinne, wie sie in den Leitbildern theoretisch schon steht:

  • dass dieselben Fehler nicht zweimal gemacht werden,
  • dass Fehlerbehebung und -vermeidung am Ort des Geschehens gelernt wird,
  • dass Fehler eher eingestanden werden, weil sie nicht die großen Kreise ziehen,
  • dass es mehr Normalität wird, über Fehler zu sprechen.

Und schon haben Sie den Fehler in der aktuellen Fehlerkultur gefunden und behoben.