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Ein Ball für Zwei

Der Veränderungsdruck auf Unternehmen ist seit Jahren hoch. Doch trotz aller Anstrengungen gelingt die Transformation in vielen Unternehmen nicht. Ein Grund dafür ist ein Phänomen, das einem Volleyballspiel ähnelt – zwei getrennte Spielfelder und ein Ball, der gespielt werden will.

Spielfeld Nr 1: Das HR-Spielfeld

In dem einen Spielfeld steht der Mitarbeiter im Mittelpunkt, „care for people“, eben alle Personalangelegenheiten. Und dass eine Unternehmenstransformation etwas mit den Mitarbeitern zu tun hat, ist längst in den Köpfen angekommen. Sätze wie „Die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Gut“ sind tief eingesickert – und ihre Wirkung wird durch den Mangel an Fachkräften noch verschärft.
Zuständig für dieses Mitarbeiter-Spielfeld ist klassischerweise HR.
Und weil die Unternehmen bis vor wenigen Jahren vor allem darauf aus sind, nur „die richtigen Mitarbeiter“ bekommen zu müssen, sie also den ‚War of Talents‘ führen, rüstet sich HR in den Nuller-Jahren vor allem in Sachen Employer Branding auf.
Mit der Zeit wird jedoch klar: Talente alleine reichen nicht, um eine Transformation zu wuppen – die Mitarbeiter müssen auch das „richtige Mindset“ haben. Entsprechend nimmt sich HR auch dieses Themas an. Der Matchgewinn bei der Transformation bleibt dennoch ein schwieriges Unterfangen.
Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass dieser Erfolg eben nicht nur von den „richtigen“ Mitarbeitern und von deren „richtigem“ Mindset abhängt. Er wird auch von dem Geschehen auf einem zweiten Spielfeld bestimmt: Das ist das Feld der Organisation, deren Kultur und deren Struktur.

Spielfeld Nr 2: Das Führungs-Spielfeld

Organisationsentwicklung ist traditionell Chefsache, weil das für das Unternehmen eine überlebenswichtige Aufgabe ist – heute mehr denn je. Sehr anspruchsvoll ist diese Aufgabe auch, denn schließlich operieren Sie als Unternehmensverantwortlicher damit am offenen Herzen: Sie müssen Ihre Veränderungen an Strukturen, Prozessen und Praktiken ja so planen, dass sie im laufenden Betrieb zu einer effektiveren Zusammenarbeit führen. Und gleichzeitig darf auf keinen Fall die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen leiden.
Wie schwierig das ist, erfahren in den letzten Jahren viele Unternehmen, die beherzt beginnen, mit agilen und anderen trendigen Methoden herum zu gestalten.

Das Spiel beginnt

Im einen Spielfeld steht also nun die Unternehmensführung, die sich mit der Organisationsentwicklung befassen soll und hoffentlich auch will, und im anderen HR, die sich um das „Funktionieren“ und die Laune der Mitarbeiter zu kümmern hat.
So – und wer von beiden ist jetzt zuständig?
Das ist wie das „Ein-Ball-für-Zwei-Phänomen“ beim Volleyball-Spiel: Ein Ball kommt so übers Netz geflogen, so dass er genau zwischen zwei Spielern landen wird …

„Meiner!“

Zwei Szenarien sind typisch.
In Szenario A geht keiner zum Ball, weil jeder den anderen in der Pflicht sieht (oder sehen will).
In Szenario B schreit der eine Spieler reflexhaft „Meiner“ und erwischt den Ball doch nicht, weil er sich über- oder den Ball unterschätzt hat. Währenddessen ist der andere Spieler brav zurückgewichen und kann nicht einspringen.
Die Gefahr, dass der Ball auf dem Boden landet, ist beide Male ziemlich groß.
Stellen Sie sich also vor, Spieler 1 ist der Unternehmer oder Geschäftsführer und Spieler 2 der Mitarbeiter aus der Personalabteilung.
In Szenario A sieht Spieler 1 einen Ball kommen, auf dem etwas von „Transformation“ steht. Da er sich eh gerade dringend um die aktuelle Wertschöpfung kümmern muss und ihm diese Organisationsthemen nicht so liegen, ist er überzeugt, dass sich Spieler 2 schon um den Ball kümmern wird. Zu was hat er denn diesen Mitspieler sonst eingestellt? Spieler 2 dagegen zuckt beim Stichwort „Unternehmenstransformation“ automatisch zurück, weil das ja Chefsache ist. Plumps, liegt der Ball am Boden
Fast noch schlimmer ist es, wenn in diesem Augenblick Spieler 2 ein engagierter HRler ist, also Szenario B eintritt: Dieser HRler schreit laut „Meiner“ und schnappt sich den Ball. Er tut, was er kann, indem er fleißig Kick-offs, Workshops und Town Halls organisiert und das Intranet befüllt und die Mitarbeiter informieren, auffordern, entwickeln und mitnehmen will. Das ganze Programm. Die Mitarbeiter aber werden ins Leere laufen, weil die Organisationsthemen unbearbeitet bleiben – der Ball ist verloren.

„Macht mal!“

Es gibt aber auch den Fall, dass Spieler 1 ein großes Transformationsthema auf die Firma zufliegen sieht, wie zum Beispiel „Wir fallen bei den Innovationen gegenüber den Wettbewerbern zurück“. Und weil er das ganz klar als ein wertschöpfungsrelevantes Thema erkennt, schnappt er sich den Ball. Danach gibt er ihn vor lauter Pflichtgefühl und Unternehmergeist gar nicht mehr her. Dabei gibt es auch bei solchen Transformationsvorhaben HR-Relevantes zu beachten. Darf die Personalabteilung zu lange nicht mitspielen, ist der Ball auch weg.
Oder aber der Unternehmer identifiziert nach der Analyse des Balls die Lösung: „Wir müssen schneller werden“ und gibt den Ball in diesem Zustand ab: „Macht mal“. Spieler 2 aber kann den Ball mangels klarem Auftrag nicht sauber spielen.
Sie könnten einwenden: „Na und, dann fällt der Ball eben mal runter – was soll’s? Wir heben ihn einfach wieder auf.“ muss nicht sein.

Homo P&C

So einfach ist es leider nicht, denn die Ballwechsel stehen unter ständiger Beobachtung: Ihre Mitarbeiter verfolgen sehr genau, wie Sie mit solchen Bällen im Unternehmen umgehen. Und verlieren mit jedem verlorenen Ball ein Stück Vertrauen. Entmutigung macht sich breit – Zynimus folgt. Schlecht – und noch schlechter in Zeiten von Personalmangel.
Ich habe den Eindruck, dass einige Unternehmen diese Gefahr schon irgendwie erkannt haben. Ich sehe jedenfalls immer mehr HR-Stellenausschreibungen für „People & Culture Manager“. Zunächst hatte ich den Verdacht, dass das ein ähnlich kurzlebiger Trend ist wie der der „Feelgood-Manager“. Inzwischen denke ich, dass der Feelgood-Manager so was wie ein Neandertaler war: Ein frustranes, aber notwendiges Entwicklungsstadium hin zum „P&C-Manager“.
Der P&C-Manager ist ja der Versuch, das Aufgabenfeld von HR größer zu fassen, als es bisher ist – also weit über Lohntütenverwaltung, Personalbeschaffung und arbeitsrechtliche Fragen hinaus. Den Bedarf für eine solche Erweiterung gibt es auf jeden Fall, deshalb bin ich diesem Jobtitel gegenüber nicht mehr so skeptisch. Allerdings ist der aktuell noch belastet.

Untergang im Nebel

Meiner Beobachtung nach bewerben sich – oder nimmt man – auf die Stellen der P&C-Manager z.T. junge PersonalreferentInnen, die voller Elan und lobenswerter Weise Dinge voranbringen möchten. Sie stehen darüber hinaus von Anfang an unter immensem Druck: Der Fachkräftemangel ist so groß, dass jeder Mitarbeiter weh tut, der wegen der schlechten Unternehmenskultur geht (was allen Umfragen zufolge die meisten sind).
Diese P&C-ManagerInnen rödeln deshalb oft ohne Ende, versuchen sich mit dem gesammelten und gelesenen Kultur-Change-Methodiken und können es dennoch nicht verhindern, dass sie mit Pauken und Trompeten untergehen. Das liegt weder an ihrer mangelnden Kompetenz noch an fehlendem Engagement. Es liegt einzig und allein daran, dass ihre Aufgaben nicht klar definiert sind und Themenfelder und Verantwortung nicht entschieden sind.
Und das ist die Krux: Weil sie keine klare Aufgabenstellung haben, fühlen sie sich erst recht verpflichtet, eifrigst „Meiner“ zu rufen – ohne Rücksicht auf die Art der Aufgabe und die Kompetenz, die dafür erforderlich ist. Reicht die Aufgabe in die Organisationsentwicklung und den Verantwortungsbereich einer Unternehmensführung, ist ihr Scheitern programmiert.
Aber was ist denn nun die Lösung für das Ein-Ball-für-Zwei-Phänomen? Welcher der beiden Spieler sollte bei Ihnen den Transformationsball auffangen? Wer ist in der besseren Position?

Der Ball gehört in die Mitte

Die kurze Antwort ist: Beide.
Beide sind in der Pflicht, für Klarheit zu sorgen, wer wann am besten zum Ball geht. Das geht dann, wenn beide Seiten sich qualifiziertes Wissen zur Organisationsentwicklung aneignen.
Das gilt für die Unternehmensspitze, weil das Organisieren zu verstehen und gestalten zu können, aus meiner Sicht als Führungskompetenz unerlässlich ist. Mit dem entsprechenden Wissen erkennen Sie, wann Sie welchen Ball selbst auffangen müssen und wann nicht und wann Sie ihn sinnvoll weiterspielen.
Gleichzeitig kann Ihre Personalabteilung nur dann ihren relevanten Beitrag zur Transformation leisten, wenn sie unklare oder unpassende Aufträge erkennen und zurückweisen kann – auch dafür braucht es Wissen.
Verfügen Sie beide über das nötige Wissen, halten Sie gemeinsam den Ball bis zum Matchgewinn im Spiel!