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Vom_richtigen_Abzweig

Ein Führungsproblem? Die drei häufigsten falschen Abzweige und ihre Folgen 

Das Managementboard brütet mal wieder an einem Thema, dass einfach nicht in den Griff zu bekommen ist:

„Unser Tempo bei Aufgaben und Themen ist zu langsam!“ steht auf der Agenda – Kapitel 12 – könnte man sagen.

Es gibt Reibereien in Abteilungen, zwischen Abteilungen, in Prozessen und vor allem an den menschlichen Schnittstellen. Kommunikation besteht immer mehr aus Vorwürfen, ich nenne es mal Unmutsbekundungen – der Volksmund sagt dazu einfach „Motzen“.

Die letzte Runde – also Kapitel 11 – war vor drei Monaten. Ergebnis – alles Maßnahmen aus dem Standard-Werkzeugkoffer. Prozessoptimierung, Kommunikationsschulung, Organigramm-Optimierung, Mitarbeitergespräche … Sie kennen das Besteck – geholfen hat nichts.

Was bleibt – die Nabelschau im Board – oder besser gesagt:

Die Führung des Unternehmens könnte das Problem sein, dass es zu lösen gilt.

Diese unglaublich tiefgreifende Erkenntnis ist typisch und ist mir bereits in vielen Unternehmen begegnet. Die Auslöser sind ganz unterschiedlich. Mal geht es um die Umsetzung der Unternehmensstrategie, mal um einen vom Markt erzwungenen grundsätzlichen Veränderungsbedarf, mal um eine bestimmte Abteilung, in der ständig Unruhe herrscht. Gerne herrscht in der Geschäftsleitung auch mal das ungute Gefühl: Wir verpassen gerade den Anschluss an die Konkurrenz, also müssen jetzt Innovationen her.

Es ist grundsätzlich nie falsch, wenn Sie in Ihrem Unternehmen „Führung“ als Thema identifizieren – im Gegenteil. Führung ist ja unstrittig ein sehr bedeutendes Thema.

Was ich jedoch beobachte ist, dass es auf dem Weg zur Lösung drei große gedanklich „Abzweige“ gibt. Je nachdem für welchen Abzweig Sie sich entscheiden, enden Ihre Bemühungen in etwas Fruchtbarem oder in etwas Furchtbarem.

Dummerweise haben sich die Abzweigungen in die Richtung „furchtbar“ über die letzten Jahre und Jahrzehnte in vielen Unternehmen so eingeschliffen, dass sie gar nicht mehr auffallen. Doch das lässt sich ändern, wenn man die Sachgassen erkennt.

 

Falscher Abzweig – Nr.1: 
Führungsproblem = Problem der Führungskraft – heißt Führung = Führungskraft

Wird für ein Team oder eine Abteilung konstatiert: „Aha, hier gibt es Probleme … da läuft es nicht ganz rund“, dann können Sie ziemlich sicher sein, dass – zack – sich alle Köpfe in eine Richtung drehen: in die Richtung der einen Führungskraft. Der oder die hat die Situation und seinen Bereich oder ein Thema offensichtlich nicht im Griff.

Führung wird mit der Person, die führt, gleichgesetzt. Und wenn es in der Führung klemmt, dann liegt das daran, dass genau diese wohl ein Defizit hat.

Dieses „Pathologisieren“ hat für alle – außer vielleicht für die betreffenden Führungskraft – etwas sehr Entspannendes, weil es das Problem abkürzt: Schließlich hat das „Problem“ schnell einen Namen. Es heißt Herr Berlin oder Frau Hamburg.

Und die Lösung ist so einfach wie logisch: Ist die Führungskraft nicht in der Lage, das Problem zu lösen, muss sie das eben lernen. „Da müssen wir ihr wohl mal ein Führungskräfte-Entwicklungstraining verordnen.“

Sobald sie dann gelernt hat, wie man richtig führt (was auch immer das so ganz genau sein mag), wird bestimmt alles gut.

Führungskräfteentwicklung ist an sich auch nichts Schlechtes: Sie landen allerdings gleich am nächsten Abzweig.

 

Falscher Abzweig Nr.2: 
Führungskräfteentwicklung = Methodentraining

Wenn Sie sich die Trainingsklassiker für Führungskräfteentwicklung ansehen, dann sind das in größeren Teilen durchpädagogisierte Methodentrainings.

Sie lernen also Tools und (Management-)Methoden kennen, die die Illusion nähren „damit kriege ich alles hin“, gesteuert und optimiert. Sie durchlaufen vielleicht ein Agilitäts-Training und nehmen Kanban-Board-Methoden mit in Ihre Firma – versehen mit der Hoffnung, dass Ihr Unternehmen damit „agil“ ist.

Lange schon en vogue sind Verhaltenstrainings, in denen die Führungskräfte verschiedene Führungsstile und Verhaltensweisen dazu miteinander diskutieren. Oft finden diese Diskussionen unter einer merkwürdig moralischen Haube statt, welcher Stil wohl „wertvoller“ sei.

Zu Neo-Klassikern haben sich in den letzten Jahren Change-Management-Trainings entwickelt, in denen Sie Methoden lernen, um Veränderungen im Unternehmen gut zu inszenieren. Oder Sie beschäftigten sich mit den psychologischen Aspekten von Verhalten, damit Sie besser verstehen, wie Ihre Mitarbeiter ticken – und wie Sie sie besser in den Griff bekommen.

Keine Frage: Alle diese Aspekte gehören zu Führung und in die Führungskräfteentwicklung. Sie sind aber nur ein Ausschnitt. Und dadurch, dass das Licht der Aufmerksamkeit ausschließlich auf sie gerichtet sind, werden sie vollkommen überstrahlt und in ihrer Bedeutung überschätzt.

Sie ändern nichts daran, dass die Führungskräfte damit lernen, IN der Organisation etwas zu ändern, statt auch AN der Organisation zu arbeiten. Und schon stehen Sie vor dem nächsten Abzweig.

 

Falscher Abzweig Nr.3: 
Leadership = Rettung

Über kurz oder lang stellt sich heraus, dass die Trainings (s. Nr.2) in der Regel nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Der inzwischen gewohnte Abzweig hier: Offensichtlich reicht es nicht, dass unsere Führungskräfte mehr lernen. Was wir brauchen, sind Führungskräfte mit anderen Eigenschaften. Wir brauchen stärkere Führungspersönlichkeiten – neue Archetypen von Führenden. Kurz gesagt: Wir brauchen mehr Leadership!

Dieser Abzweig wird vor allem dann gerne genommen, wenn die Führungskräfte eine paradoxe Anforderung bewältigen sollen. Sie sollen zum Beispiel in der Abteilung, im Unternehmen sowohl für Effizienz als auch eine neue Fehlerkultur sorgen. Oder gleichzeitig für Null-Fehler-Toleranz und für Innovation leben.

Das sind Herausforderungen, bei denen das Unternehmen feststellt: Schade, wir bekommen als Organisation diese Widersprüchlichkeiten einfach nicht unter einen Hut. Dieses Defizit müssen dann eben die Führungskräfte kompensieren – und zwar die Lichtgestalten der Führung. Die echten Leader.

Mein Eindruck: Je verunsicherter eine Organisation ist, desto lauter ist der Ruf nach den heilsbringenden Eigenschaften von Führungskräften, nach Charisma. 

Dann ergänzt man die Führungsriege. Grundsätzlich sind neue Leute, die neue Ideen und frischen Wind in das Unternehmen tragen, nicht an sich falsch. Doch wenn Sie den Weg dieser neu eingestellten Führungskräfte verfolgen, hören Sie sie im Mahlwerk der bestehenden Strukturen oft schon bald leises Stöhnen: „Jetzt mache ich das auch schon so wie …“.

 

Vorsicht: Nebenwirkungen

Die Maßnahmen, die Sie aufgrund falscher Abzweige einleiten, sind also oft nicht verkehrt, aber immer einseitig. Sie können sogar richtig schädlich sein.

So bin ich kürzlich in einem Unternehmen, dass sehr effizienzgetrieben aufgestellt ist, gewesen. Das ist auch vollkommen in Ordnung, das Geschäftsmodell dies auch erfordert.

Die Geschäftsleitung ist – mit dem Blick auf die immer wieder aufgerufenen Ikonen wie Google & Co. – zu dem Schluss gekommen, dass das Unternehmen Innovationen braucht. Also bekommen die Führungskräfte diesen Auftrag in ihre Zielvereinbarung geschrieben. Die meisten veranstalten daraufhin mit ihren Mitarbeitern neben dem Tagesgeschäft Design-Thinking-Workshops. Zahllose Post-Its werden vollgeschrieben, die Köpfe rauchen. Zahl der entwickelten Ideen: groß. Zahl der umgesetzten Ideen: null. Denn das auf äußerste Präzision ausgelegte Tagesgeschäft hatte immer Vorrang. Das Lenkrad bei Vollgas loslassen, während das Rennen läuft? Unmöglich!

Trotzdem ziehen die Führungskräfte die Aktion durch – so steht es schließlich in der Zielvereinbarung. Auch wenn irgendwann alle merken: Was wir hier tun, ist nur Theater.

Das ist es dann, was bei den Mitarbeitern hängen bleibt: Sie nehmen solche Initiativen immer weniger ernst. Sie lernen, pro forma mitzumachen und innerlich auf Tauchstation zu gehen, bis die Welle durch ist.

Welche Abzweige aber sollten Sie bei Problemen rund um die Führung stattdessen nehmen?

 

Die bessere Richtung

Die richtigen Abzweige zeigen Ihnen die bewährten Erkenntnisse der Organisationswissenschaft. Die sagen eindeutig: Führung und Organisation sind „zwei Seiten einer Medaille“ – wie es Rudi Wimmer, Professor für Führung und Organisation am Wittener Institut für Familienunternehmen, formuliert hat.

Führung ist nicht an eine Person gebunden. Sie ist eine Funktion, die entweder von der Organisation oder von der Führungskraft ausgeübt wird. Die Entscheidung darüber, wie Ihr Unternehmen strukturiert ist, wie die Entscheidungen bei Ihnen gefällt werden, wie Sie kommunizieren – das hat ja nichts mit der einzelnen Führungskraft zu tun. Solche Dinge werden für den ganzen Betrieb entschieden, je nachdem was Sie erreichen wollen. Je klarer das alles in der Organisation geregelt ist, desto weniger muss die Führungskraft ständig in Action sein. Führungsaktivitäten sind keine Daueraufgabe.

Meine drei konkreten Empfehlungen für Sie leiten sich daraus ab.

  1. Wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass Sie ein Führungsproblem vor sich haben: Schauen Sie nicht nur auf die Führungskraft, sondern auch auf Ihre Organisation, um die Ursache zu finden. Das ist auf den ersten Blick unbequem, weil es keinen „Schuldigen“ und keine einfachen Korrekturmethoden gibt, aber es ist wirkungsvoll.
  2. Führungsaktivitäten dürfen keine Daueraufgabe für Führungskräfte sein, die Arbeit an der Organisation als Führungsträger dagegen schon. Stellen Sie auch organisatorisch sicher, dass die Führungskräfte in Ihrem Unternehmen sich immer wieder mit den bestehenden Strukturen auseinandersetzen und diese in Wirkung verstehen.
  3. Weil es in den üblichen Führungsentwicklungs-Curricula zu selten Thema ist, fehlt es den meisten Führungskräften an Organisationsverständnis und am Verständnis, welchen Einfluss die Organisation auf das Verhalten der Mitarbeiter hat. Mit ein bisschen mehr Organisationslehre und ein bisschen weniger Feedback-Training wäre Ihrem Unternehmen schon geholfen.

Das Arbeiten an der Organisation ist anstrengend, auch weil es für die meisten Unternehmen ungewohnt und ungeübt ist. Es ging ja jahre- und jahrzehntelang auch so. Aber die Anforderungen an Führung sind massiv gewachsen. Sie sind inzwischen so groß, dass Führungskräfte sie nicht alleine abfangen können. Deshalb ist eine klug durchdachte Organisation für die Führung eines Unternehmens heute wichtiger denn je. Und die richtige Wahl der Abzweige auch …