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Ausnahmeregelungen im Unternehmen: Das Elend mit den Sonderlocken

Ein großes Veränderungsvorhaben steht an, und die Voraussetzungen für den Erfolg sind gut wie nie. Die Chancen für das Unternehmen sind offensichtlich, der Prozess ist sorgfältig aufgesetzt und die Story klingt gut. Pinnwände mit vollgeschriebenen Moderationskarten künden davon, dass wirklich alle abgeholt werden. Alles läuft mustergültig. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Unternehmer oder der Geschäftsführer mit einem verhängnisvollen Kommentar der HR-Leitung konfrontiert wird.

„Das muss dann aber für ALLE gelten!“

 

Wer muss?

Dieser Satz kann präventiv gemeint sein: Dieses Vorhaben ist so wichtig, dass alles, was seinen Erfolg gefährden könnte, vermieden werden muss – auch jede Ausnahme.

Der Satz taucht aber auch auf, weil die Erfahrung gezeigt hat: Es gibt Mitarbeiter, die offensichtlich selbst entscheiden dürfen, an welche allgemeinen internen Vorgaben sie sich halten müssen – oder auch nicht.

Meist sind die entsprechenden Mitarbeiter bereits bekannt. Ihre Namen durchzucken den Projektverantwortlichen und auch die Geschäftsleitung ganz automatisch, wenn Veränderungen anstehen. Denn es ist klar: An denen können diese Veränderungen scheitern. Wenn die sich querstellen, wird es richtig schwierig.

 

Privatbesitz

Diese Mitarbeiter verfügen über etwas, was die übrigen nicht haben. Sie haben Macht.

Diese Art der Macht finden Sie in keinem Organigramm dokumentiert, in keiner Stellenbeschreibung aufgeführt und sie ist auf kein Türschild gedruckt. Dort finden Sie nur Hinweise auf formale Macht. Diese Menschen aber haben informelle Macht.

Diese Macht speist sich nicht aus Rollen oder Funktionen, sie wird nicht von Unternehmensseite formal zugewiesen. Sie klebt an Personen. Und diese beziehen ihre Macht aus anderen als den offiziellen Quellen.

 

Die Quellen der Macht

Eine dieser Quellen ist zum Beispiel „Expertenwissen und Erfahrung“. Wenn ein Meister in der Produktion sich mit allen Maschinen auskennt, weil er schon so lange in dem Laden ist, und auch gut vernetzt ist mit allen Gewerken, die diese Produktionsmaschinen pflegen, dann ist im Unternehmen allen klar: Wenn der schlechte Laune kriegt, dann ist das fatal.

Eine zweite Quelle der Macht ist der Zugang zu bestimmten internen Gruppen. Wie zum Beispiel bei dem Abteilungsleiter, der seine Mannschaft gut aufgestellt hat und die auf ihn hört –  nur auf ihn!

Auch der exklusive Kontakt zur „Außenwelt“ kann Macht begründen: Wenn ein Vertriebsmitarbeiter als einziger hervorragende Beziehungen zum größten Kunden pflegt, dann hat er etwas, was nicht mal der Geschäftsführer hat.

Die vierte und letzte Quelle ist der Zugang zu Ressourcen. Wenn ein Mitarbeiter sagen kann: „Ich kann dafür sorgen, dass der Einkauf in die und die Richtung läuft oder das und das bereitstellt“, dann begründet auch das Macht.

Wer als Mitarbeiter an einer dieser vier Quellen sitzt, ist in der Lage verbal oder nonverbal zu verbreiten:

„Ich kann das Problem für diesen Laden lösen – muss ich aber nicht.“

 

Nicht schlimm und doch …

Diese Art der Machtverteilung im Unternehmen bildet sich ganz von selbst heraus. Sie lässt sich nicht vermeiden. Sie müssen sie auch nicht vermeiden. Macht ist nichts Schlimmes.

Wir haben nur leider in unserer Kultur große Vorbehalte gegenüber dem Thema „Macht“. Es ist wie ein Tabu: Wenn Sie offen darüber reden, rücken Sie sich ganz schnell in eine moralisch fragwürdige Ecke. Also tun es die Wenigsten. Und daher schauen wir auch nicht genau hin. Das führt zu verqueren Reaktionen im Umgang mit dieser informellen Macht im Unternehmen, gerade dann, wenn es um Veränderungsprozesse geht.

 

Ignoriert, analysiert, pathologisiert

Viele ignorieren diese informellen Machtstrukturen einfach. Sie agieren nach dem Motto „Augen zu und durch“. Sie gewähren diesen Mitarbeitern eine Sonderlocke nach der anderen. Das Zischen der HR-Leitung überhören sie geflissentlich – Hauptsache, der fragliche Vertriebsleiter liefert weiter die gewohnt guten Ergebnisse. Dann muss der eben als einzige Führungskraft keine Mitarbeitergespräche führen, weil ihm das „eben nicht so liegt“ oder sie die eignen Leute doch jeden Tag sieht.

Andere sind sich dagegen der Tatsache bewusst, dass manche Mitarbeiter mehr Einfluss haben auf den Erfolg eines Veränderungsvorhabens als andere. Sie versuchen, via Stakeholderanalyse diejenigen zu identifizieren, die gegen das Vorhaben arbeiten – und diese von dessen Vorteilen zu überzeugen. Ziel ist, diese Mitarbeiter mit sachlichen Argumenten zur Einsicht zubringen. Das muss schiefgehen, denn die sind ja nicht aus sachlichen Gründen gegen die Veränderung. Sie haben lediglich kein Interesse an ihrem Machtverlust.

In der Beliebtheitsskala, dem zu begegnen, ganz oben aber rangiert, dass die Geschäftsleitung einen entsprechenden „Widerständler“ pathologisiert. Der wird dann wahlweise als „egozentrisch“ oder „darstellungssüchtig“ bezeichnet oder vieles mehr. Auch gerne genommen: „Der will seine Komfortzone nicht verlassen“. Damit wird derjenige entweder zum Therapiefall oder zumindest zu einem Fall für die Personalentwicklung abgestempelt. So lassen sich anstrengende Diskussionen vermeiden. Doch gelöst wird das Problem auf diese Weise nicht.

 

Der Preis der Sonderlocke

Was ich oft beobachte, ist eine gewisse Hilf- und Ratlosigkeit in der Geschäftsleitung gegenüber den Machtfiguren im Unternehmen. Maximal gibt es den Versuch, durch Sonderlocken die Situation in den Griff zu bekommen.

Gewähren Sie stillschweigend solche Sonderrechte, bedeutet das für Sie zunächst oft tatsächlich Entlastung.

Sie sparen sich unschöne Gespräche oder sogar offene Konflikte und gefährden den gewohnten Ablauf nicht.

Doch das Vorgehen hat einen hohen Preis. Es kostet Sie Veränderungsgeschwindigkeit und -erfolg, weil eben nicht die gesamte Organisation mitzieht.

Vor allem aber kostet es Sie Ihre Glaubwürdigkeit. Die Auswirkungen spüren Sie spätestens beim nächsten Veränderungsprojekt. Welchen Grund haben die übrigen Mitarbeiter, sich hier zu engagieren, wenn sie davon ausgehen müssen, dass bestimmte Leute auch diesmal nichts davon umsetzen müssen?

 

Ihre Alternativen

Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie immer um solche Sonderlocken herumkommen. Vielleicht müssen Sie ab und zu in diesen sauren Apfel beißen. Aber tun Sie es wenigstens bewusst und unter Abwägung der Alternativen – die gibt es immer.

Welche, das erkennen Sie, wenn Sie sich aktiv mit den informellen Machtverhältnissen in Ihrem Unternehmen auseinandersetzen und auch mal genau hinschauen, worauf die Macht des Einzelnen beruht.

Wie das aussehen kann, will ich Ihnen an einem Beispiel zeigen.

Stellen Sie sich einen erfolgreichen Mittelständler des produzierenden Gewerbes vor. Der Betrieb ist in den letzten Jahren stramm gewachsen, darauf haben sich alle konzentriert. Was in der Zeit zu kurz gekommen ist, sind Dinge wie eine einheitliche Vergabe von Titeln.

Nun mahnen aber gerade jüngere Mitarbeiter an, dass sie mit Jobbezeichnungen Marke Eigenbau nicht glücklich sind: Schließlich steht die dann in ihrer Vita und falls sie weiterziehen wollen, haben sie schlechtere Chancen.

Also entschließt sich die Geschäftsleitung dazu, das Thema Stellenbezeichnung und Organigramm anzupacken. Das finden auch alle gut, nur der Produktionsleiter hat aus verschiedenen Gründen kein Interesse daran.

 

Der Sonderlockenkandidat

Er ist eine sehr populäre Persönlichkeit, unglaublich gut vernetzt im Unternehmen und er bekommt seine Mitarbeiter zuverlässig zu jeder Art von Sonderschicht motiviert.

Er ist auch der Filter und definitiv meinungsbildend, wenn es um Informationen geht, die in seinen Bereich fließen sollen.

Die Geschäftsleitung hat große Bedenken, sich über seine Weigerung hinwegzusetzen. Was, wenn er seine Leute gegen die Veränderung aufbringt? Was, wenn sich keiner mehr zu Sonderschichten bereit erklärt, da der Häuptling nicht dafür trommelt? Ist das nicht ein zu großes Risiko? Sollen sie ihm seine Stellenbezeichnungen nicht lieber lassen?

 

Die Säulen der Macht entmachten

Die Geschäftsleitung setzt sich intensiv damit auseinander, worauf sich die Macht dieses Produktionsleiters stützt. Dabei erkennt sie zwei Säulen.

Das ist einerseits dessen exklusiver Kommunikationszugang zu seinen Mitarbeiter. Dem wirken sie dadurch entgegen, dass sie weitere Kommunikationswege –  quasi von der Seite  – etablieren. Sie gehen mit den Informationen zu dem Veränderungsvorhaben direkt auf die Mitarbeiter und die Führungskräfte des Bereichs zu, erklären die Hintergründe, die Vorteile für jeden Einzelnen.

Zweite Machtquelle: die Mobilisierungskompetenz.

Die Geschäftsleitung sorgt dafür, dass ein dauerhafter Springer-Pool für Produktionsmitarbeiter eingerichtet wird, aus dem sich dann auch Extraschichten bestücken lassen.

Die Geschäftsführung hat den Aufwand, der hinter dieser Risikominimierung steckt, bewusst abgewogen und sich für die zukunftsfähigere Lösung entschieden. Dieses bewusste Abwägen war nur dadurch möglich, dass sie bewusst auf die bestehenden Machtverhältnisse geschaut hat, statt sie zu ignorieren. Die Geschäftsleitung hat ihre organisatorischen Möglichkeiten genutzt, die Machtverhältnisse zu verändern, um das große Veränderungsvorhaben im Unternehmen umsetzen zu können.

 

Ihr Fokus

Dieses genaue Hinschauen lohnt sich. Der Vorteil für Ihr Unternehmen liegt auf der Hand: Sie können das Veränderungstempo hochhalten und die Erfolgschancen erhöhen. Vor allem aber schaffen Sie es dadurch, Ihren Fokus weg vom einzelnen Mitarbeiter dorthin zu lenken, wo Ihre Aufmerksamkeit wirklich gebraucht wird – auf das Problem und seine Lösung.