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Zumutung Mindset

Moderne Managementkonzepte und -methoden haben alle eines gemeinsam: Sie sind anspruchsvoll.

Für die reicht es nicht, dass Sie als Unternehmer oder Geschäftsführer noch klügere Strategien entwickeln, bessere Strukturen schaffen und Prozesse optimieren. Es reicht auch nicht, dass Ihre Mitarbeiter ihre Aufgaben noch gewissenhafter erfüllen. Nein, die Kollegen haben sich als Mensch zu ändern.

Ich halte solche Forderungen für eine Zumutung. Denn sie sind erstens übergriffig, zweitens einfallslos und drittens wenig mutig, wenn nicht sogar feige – dazu später mehr – erst einmal Vorsicht!

 

Übergriff

Jedes Unternehmen will gute Ergebnisse erzielen. Und jedes Unternehmen hat eine Vorstellung davon, wie sich seine Mitarbeiter zu verhalten und zu handeln haben, um diese Ergebnisse zu erreichen.

Der Deal ist: Wer den Arbeitsvertrag unterschreibt, an den darf das Unternehmen diese Erwartungen richten. Im Ausgleich dafür bekommen die Mitarbeiter ihr Gehalt.

Doch die neuen Managementkonzepte wollen mehr.

Die Unternehmen sollen von ihren Mitarbeitern „Leidenschaft“ fordern. Diese sollen „unternehmerisch denken“. Sie sollen sich zu „starken Führungspersönlichkeiten“ entwickeln.

Diese Ansprüche gehen über Verhalten und Handlungen hinaus. Sie erstrecken sich auf Einstellungen, Charaktereigenschaften und Gefühlsregungen. Damit nimmt das Unternehmen Zugriff auf etwas, was nicht per Arbeitsvertrag vereinbart ist. Was nicht mit dem Gehalt abgegolten ist. Es ist schlicht übergriffig.

Ich will ja gar nicht ausschließen, dass der ein oder andere eine Gänsehaut bekommt, wenn er oder das Team eine Aufgabe erfolgreich abschließt. Das ist in Ordnung. Doch diese Gänsehaut fordern? Das geht zu weit.

Aus meiner Sicht hat es dem Unternehmen egal zu sein, ob der Mitarbeiter bei seiner Arbeit begeistert ist oder nicht. Das, was zählt, ist, dass die Person ihren Beitrag leistet. Punkt.

Außerdem lassen sich Unternehmensziele auf ganz andere Art effektiver erreichen – aber dazu komme ich gegen Ende. Jetzt geht es erst einmal darum, warum ich Aufforderungen wie „Seid innovativer“ auch für stramme Abkürzungen halte.

 

Vorsicht: Einfallslosigkeit

Ich beobachte es immer wieder: Das Mindset-Thema spült vor allem dann hoch, wenn ein Unternehmen feststellt: „Oh, unser ganzer Laden hat ein Problem. Und dieses Problem scheint nicht so ganz trivial zu sein.“

Die Klassiker aus dieser Kategorie lauten „Wir liefern nicht schnell genug“ oder „Wir verlieren Kunden“ oder „Unsere Projekte dauern zu lange“. Tatsache ist, dass solche Probleme selten einfach zu lösen sind. Ein Unternehmen muss meist lange an einer Lösung herumkauen.

Taucht während dieser Durststrecke eine scheinbar einfache Lösung auf, ist die Versuchung groß zuzugreifen. Denn wenn es einfach „nur“ an der Haltung liegt – ja, dann lasst uns halt eben an unsere Mitarbeiter appellieren und sie mit feurigen Reden von der Notwendigkeit eines neuen Denkens überzeugen.

Die anstrengenden Tiefbohrungen in die Organisation, die ewigen Diskussionen und der Druck, sich etwas einfallen zu lassen – das hat sich damit alles erledigt. Die perfekte Abkürzung!

Erst wenn sich das eigentliche Problem über die folgenden Monate und Jahre dadurch so gar nicht auflösen will, wachsen die Zweifel. Wenn es ungünstig läuft, dann richten sich die Zweifel nicht gegen das Konzept, sondern gegen die Mitarbeiter: „Die wollen einfach nicht.“ Das macht alles nur noch schlimmer.

Mein dritter und letzter Einwand gegen die Mindset-Zumutung ist, dass sie von wenig Mut zeugt.

 

Vorsicht: Feigheit

Die Mindset-Karte wird sehr gerne in folgender Situation gezückt: Die Unternehmensleitung hat erkannt, dass eine Reorganisation notwendig ist. Sie weiß auch, dass sie mit dieser Umstrukturierung ihren Mitarbeitern lieb gewonnene Freiheiten entziehen muss. Und dass es ziemlich unromantisch ist, solche Veränderungen von der Belegschaft einzufordern.

Der Widerspruch ist programmiert.

Was dagegen mit Sicherheit keinen Widerspruch provoziert, sind flauschige Appelle wie „Hier dürfen alle mitdenken“ oder „Wir arbeiten über Abteilungsgrenzen hinweg kooperativ zusammen“. An solchen Fluffigkeiten lassen sich keine Konflikte festmachen.

Das ist allerdings auch der Haken an der Sache: Solche Sätze ziehen an Mitarbeiterohren rückstandsfrei vorbei. Dank der Unkonkretheit weiß keiner, was die Aufforderung für ihn bedeuten soll, also wird sie ignoriert. Entsprechend ist die Wirkung in der Belegschaft gleich Null.

Diese Nicht-Reaktion wird auch oft als mangelnder Veränderungswille interpretiert, was aber nicht der Fall ist. Vielmehr fehlt es an Mumm, mit den Mitarbeitern Tacheles zu reden: „Welches veränderte Verhalten erwarten wir konkret von euch?“

Das Problem des Unternehmens wird auf diese Art definitiv nicht gelöst. Die warmen Worte schieben den Tag der Auseinandersetzung bestenfalls eine Weile auf. Wobei so ein Hinauszögern selten ein kluger Schachzug ist.

Sie sehen: Gleich drei gewichtige Einwände sprechen gegen Appelle an das Mindset. Und dennoch kann ich nachvollziehen, warum sie so gerne genommen werden.

 

Stressgebeutelt

Es ist völlig normal, dass sich bei einem Unternehmer oder einer Führungsriege bestimmte Eindrücke verdichten. So ärgern die sich vielleicht an unterschiedlichen Stellen im Unternehmen darüber, dass Mitarbeiter sich für nicht zuständig erklären. Diese „Ärgerpunkte“ addieren sie und kommen zu dem Schluss: „Mensch, hier will einfach keiner Verantwortung übernehmen!“

So kann leicht eine eher ungestützte Beschreibung eines Problems entstehen.

Wenn dann noch in der Organisation irgendwo etwas schiefläuft und daraus operativer Stress entsteht, wird diese Situation schnell mit dem generellen Schluss verknüpft. Dann kommt es schon mal zu einer kernigen Aufforderung nach dem Motto: „Leute, übernehmt doch mal ein bisschen mehr Verantwortung!“

So eine Kommunikation ist maximal unscharf, weil weder das Problem noch der Änderungsbedarf konkret benannt ist. Es ist noch nicht einmal das Angebot enthalten, sich gemeinsam Gedanken zu machen, wie das Problem in Zukunft zu verhindern ist. Man kippt den Mitarbeitern den Appell vor die Füße.

Als Stressreaktion verständlich, aber dennoch nicht hilfreich. Ich empfehle Ihnen da etwas anderes. Das exerziere ich mal am Beispiel von „Seid entscheidungsfreudiger!“ durch.

 

Zumutungsfrei

Der genannte Appell kann aus dem verdichteten Eindruck heraus entstehen, dass die Entscheidungsprozesse im Unternehmen zu lange dauern. Daraus kann jedoch auch etwas anderes entstehen: Die Beteiligten nehmen die Struktur dieser Prozesse unter die Lupe. Sie fragen sich: „Wie viele Hierarchiestufen sind da eingebaut und welche davon könnten wir herausnehmen, um schneller zu werden?“

Sie betrachten also das konkrete Problem, ermitteln die strukturelle Ursache und passen den Ablauf an.

Klar, sollen und dürfen Sie den Mitarbeitern bei einer solchen Veränderung transparent machen, warum Sie etwas verändern. Sie dürfen ruhig kommunizieren, dass Sie damit die Entscheidungsfreude unterstützen wollen. Denn es ist etwas anderes, ob Sie nur den Appell in den Raum stellen oder ob Sie konkrete Veränderungen damit unterfüttern. Der Appel kann eine sinnvolle Begleitung, aber nie ein Ersatz für die Strukturarbeit sein.

Ja, diese Strukturarbeit ist anstrengend. Aber sie ist Ihr Job! Und im Gegensatz zu moralischen Appellen bringt diese Mühe auch etwas.

Kommunizieren Sie deshalb, welche Handlungen Sie sehen möchten – aber eben nicht verknüpft mit moralisch wertvollen Erklärungen oder Bewertungen. Und überlegen Sie parallel, mit welcher Struktur Sie ermöglichen, dass die Mitarbeiter sich so verhalten können.

Den Begriff „Mindset“ dagegen dürfen Sie getrost aus Ihrem Wortschatz streichen.