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Wer ist hier für die Gänsehaut zuständig?

Mitarbeiter müssen zufrieden sein, damit das Unternehmen erfolgreich ist. Also müssen die Unternehmen darauf achten, dass ihre Mitarbeiter zufrieden sind.

Dieses „Mantra“ der Mitarbeiterzufriedenheit hat sich derart eingebürgert, dass es schon lange keiner mehr in Frage stellt. Schon gar nicht in Zeiten von Fachkräftemangel und leergefegtem Arbeitsmarkt. Da hat alles, was scheinbar mehr Mitarbeiterbindung verspricht, Hochkonjunktur.

Unternehmen machen sich viele Gedanken dazu. Sie setzten Konzepte auf und befragen Ihre Mitarbeiter danach – spielt eine große Rolle, das mit der Zufriedenheit…

Die Frage ist nur: Stimmt dieses Mantra überhaupt und geht es von den richtigen Annahmen aus?

 

Dubiose Erfolgsgleichung

Eindeutige Studien oder Untersuchungen, die belegen, dass zufriedene Mitarbeiter besser, schneller und/oder zuverlässiger arbeiten, gibt es nicht. Nachweise, dass die Gleichung „mehr zufriedene Mitarbeiter = mehr Unternehmenserfolg“ stimmt, fehlen.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es für Mitarbeiter gilt, die direkt am Kunden arbeiten. Aber selbst bei denen bleibt die Gleichung problematisch.

 

Quellen der (Un-)Zufriedenheit

Die Zufriedenheit eines Menschen ist selten monokausal. Seine Zufriedenheit am Arbeitsplatz hat immer auch viel mit der Zufriedenheit in anderen Lebensbereichen zu tun.

Darüber hinaus ist Zufriedenheit eine sehr individuelle Sache: Der eine Mitarbeiter ist zufrieden, wenn er seine Ruhe hat. Der andere ist nur zufrieden, wenn jede Menge los ist. Ein und derselbe Arbeitsplatz kann also höchst zufrieden oder höchst unzufrieden machen. Die Gestaltung des Rahmens, in dem Arbeit stattfindet, können und sollten Sie als Unternehmer und Führungskraft ohnehin nicht ändern. Das wäre Fischen im falschen Teich.

 

Die Natur der Beziehung

Es darf und muss jedem Mitarbeiter selbst überlassen bleiben, wie er die Welt sieht und was ihn in dieser Welt zufrieden macht. Das geht das Unternehmen erst einmal nichts an. Es trägt dafür auch nicht die Verantwortung. Das liegt in der Natur der Beziehung.

Was dieser Beziehung zugrunde liegt, ist ein Arbeitsvertrag. Der Deal: Ihr Mitarbeiter bekommt Geld und stellt Ihnen dafür seine Arbeitskraft für einen bestimmten Job zur Verfügung. Von Zufriedenheit ist da nicht die Rede.

Das klingt erst einmal maximal unhumanistisch – ist es aber nicht. Zu dem Deal gehört sehr wohl, dass das Unternehmen dem Mitarbeiter einen Rahmen bietet, in dem der in der Lage ist, seinen Job vernünftig zu machen. Dazu gehört zum Beispiel, dass er anständig behandelt wird, dass er an einer ihm gemäßen Stelle eingesetzt wird, dass er die nötigen Kompetenzen hat, dass seine Aufgaben für ihn nachvollziehbar sind und dass die Anreize zu dem passen, was gefordert wird. All diese – zugegeben – unromantischen Dinge haben so gar nichts mit Gänsehaut und persönlicher Zufriedenheit zu tun – aber – das ist absolut in Ordnung so.

Ein Unternehmen darf sich somit nicht primär an der Zufriedenheit seiner Mitarbeiter ausrichten – es wäre der falsche Fokus.

 

Unproduktive Veränderung

Stellen Sie sich vor, Sie fragen Ihre Mitarbeiter in der Produktion nach deren Zufriedenheit. Die sind aktuell bereits genervt, weil sie – im Gegensatz zu allen anderen Mitarbeitern – nicht im Homeoffice arbeiten können. Ihre Mitarbeiter wissen auch, dass Sie an diesem Umstand nichts ändern können. Aber sie nutzen die Befragung dazu, ihrem Gefühl der Ungerechtigkeit Ausdruck zu verleihen. Und jetzt?

Sie müssen ja auf solche Umfrageergebnisse reagieren, um sich nicht unglaubwürdig zu machen. Also sehen Sie sich womöglich gezwungen, Dinge zu verändern, die Sie eigentlich gar nicht verändern wollten. Dinge, die für die gemeinsame Leistung, für das, was Sie gemeinsam schaffen wollen, keine Rolle spielen oder die Leistung womöglich erschwert, weil zum Beispiel Prozesse umständlicher werden.

Die Mitarbeiterzufriedenheit ist also die falsche Währung, wenn es um den Erfolg des Unternehmens geht. Deshalb sehe ich auch das dafür meistgenutzte Instrument in dieser Richtung kritisch: die Mitarbeiterbefragung.

 

Was konkret erwarten Sie?

Eine regelmäßige Mitarbeiterbefragung gehört ja schon fast zum guten Ton eines Unternehmens. Erst kürzlich habe ich wieder von einem Geschäftsführer gehört: „Wir müssen mal wieder eine Mitarbeiterbefragung machen. Die letzte ist schon drei Jahre her.“

„Aha. Was erwarten Sie sich konkret davon?“, fragte ich.

Die Frage verunsicherte ihn sichtlich. So ganz genau konnte er mir das nicht sagen. Und genau das ist oft das Problem.

 

Hilf- und ratlos

Ein typisches Beispiel: Ein mittelständisches Unternehmen hatte vor drei oder vier Jahren mit viel Aufwand und mit professioneller Unterstützung durch eine Agentur eine breit angelegte Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Es wurde nach der Zufriedenheit in verschiedenen Bereichen gefragt, alle gaben sich redlich Mühe.

Heraus kamen im Endeffekt Aussagen wie „Die Führung in unserem Unternehmen wird nicht als wertschätzend empfunden“. Die Ergebnisse waren also so generisch, dass sie weder bei irgendeiner Führungskraft Betroffenheit auslösten noch einen konkreten Handlungsansatz boten.

Entsprechend bekam das Unternehmen keinen Griff daran. Die Befragung ließ alle Beteiligten hilf- und ratlos zurück. Zwar werden die Ergebnisse heute noch gerne zitiert, aber das ist auch der einzige nachhaltige Effekt. Würde sich die Geschäftsführung heute fragen, welches Problem sie hätten, wenn sie die Befragung nicht durchgeführt hätten, müsste sie antworten: Keines.

Und wenn sie ganz ehrlich sind, müssten sie sogar sagen: Sie haben ein Problem, das nur aufgrund der Befragung entstanden ist.

 

Programmierte Enttäuschung

Wenn Sie Ihre Mitarbeiter befragen, wecken Sie damit immer die Erwartung, dass Sie auf deren Antworten reagieren. Tun Sie das nicht, weil Sie nach Dingen gefragt haben, die Sie gar nicht verändern können oder wollen, dann enttäuschen Sie diese Erwartung. Damit sorgen Sie erstens für Frust und zweitens für sinkende Bereitschaft, sich in der Zukunft bei solchen Maßnahmen zu engagieren und sie ernst zu nehmen.

Die Gefahr ist bei Befragungen, die weder einen aktuellen Anlass oder Bezug haben noch auf ein konkretes Problem zielen, besonders hoch. Fragen Sie stattdessen zum Beispiel sehr zielgerichtet danach, ob und wie viel an Information zu Ihrer neuen Strategie schon bei den Mitarbeitern angekommen ist, erhalten Sie Ergebnisse mit Aussage- und Umsetzungspotenzial.

Und auf einen weiteren Punkt sollten Sie dringend achten, wenn Sie eine Mitarbeiterbefragung durchführen wollen, die das Unternehmen wirklich voranbringt: Machen Sie sich im Vorhinein bewusst, ob Sie überhaupt im Moment die Ressourcen haben, etwaige Ergebnisse umzusetzen. Haben Sie sie nicht, dann sollten Sie auf die Befragung besser verzichten.

 

Großer Aufwand, großes Ergebnis?

Mitarbeiterbefragungen bedeuten immer einen großen Aufwand. Legen Sie den Fokus dabei auf „Zufriedenheit“, können sie Ihnen nur wenig Ergebnis oder sogar Schaden bringen. Substantiell profitieren können Sie nur dann, wenn Sie Ihren Fokus auf die Dinge lenken, die Sie wirklich verändern können und für die Sie die Verantwortung tragen: die Rahmenbedingungen, damit Ihre Mitarbeiter einen guten Job machen können. Dafür sind sie angetreten. Und das macht im Endeffekt auch alle zufrieden …